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Blog den man als Coach nicht schreiben darf

oder

Ehrlich währt immer am längsten – einige persönliche Worte und Erfahrungen aus dem Big-Business-of-Coaching

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Ich hatte mit gut 30 Jahren so ziemlich alles erreicht, was man sich vorstellen konnte. Oder im Werbe-Jargon gesprochen, konnte ich mit stolzgeschwellter Brust sagen: „Mein Haus, mein Job, mein Auto, meine Familie.“

Heinz Hobmeier Coach Mentor Blog

Na gut, Kinder hatte ich damals zwar noch keine, ich wog etwa 170 Kilogramm, ich rauchte und war auch dem Alkohol nicht abgeneigt, wenn es um Entspannung ging – aber ich fuhr mit einem Dienstwagen nach München ins Büro, trug Anzug und Krawatte und konnte mir mein Glück kaufen. Mein Lebenssinn bestand darin, was im Buddhismus als die drei Geistesgifte beschrieben wird:

1. Gier – also Unsicherheit und Angst, das ich mit allem Möglichen, was man bekommen und kaufen kann, zu betäuben versuchte

2. Hass – also Mangel an Liebe – vor allem zu mir selbst und das projizierte ich nach außen

3. Verblendung – also Unwissenheit und mit der Folge, dass ich total Ich-fixiert war und durchaus hedonistisch, egoistisch und narzisstisch unterwegs war

Erzdiozösen & Übergrifflichkeiten

Ich könnte natürlich auch den christlichen Begriff der Sünden und die 10 Gebote verwenden und nicht die buddhistische Sichtweise, um das zu beschreiben. Das würde jedoch keinen Unterschied machen, denn im Kern sind die Religionen von der Aussage her ziemlich identisch. Nur was im Laufe der Zeit um die Propheten herum gebaut wurde, ist unterschiedlich. Durch das Achtsamkeit-Training von John Kabat-Zinn bin ich dem Buddhismus näher gekommen und habe mich vom Christentum etwas distanziert. Genauer gesagt von dem gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen der Erzdiozösen, einschließlich der Übergrifflichkeiten in der katholischen Kirche. Jesus selbst und seine überlieferten Aussagen halte ich nach wie vor für eine sehr inspirierende Persönlichkeit und eine Kraft- und Entspannungsquelle, die „Seelen-Resonanz“ erzeugt.

Interessant ist der Begriff der Sünde, was genau genommen Verfehlung bedeutet – ich habe hierzu einen Blog geschrieben – und dass ich jetzt im Nachhinein erkennen kann. Ich habe meine Ziele und meine eigentliche Lebensaufgabe aus den Augen verloren und deshalb hat eine höhere Instanz – ich nenne es einfach mal so, um es beschreiben zu können – eingegriffen und mir nach und nach immer mehr und immer direkter zu zeigen, dass ich gefälligst etwas ändern soll und eine Kurskorrektur vornehmen muss. Erst Tinnitus, dann Gehörsturz, später Burn-out und Depression und letztendlich – weil ich mich stur stellte und nicht wirklich etwas änderte – einen Unfall mit Nahtoderfahrung, die ich erst mal verstoffwechseln musste.

Das Haifischbecken

Mit Beginn von Burn-out und im Laufe der immer wieder zu mir zurückkehrenden Depressions-Phasen begann ich, mich aus der Gesellschaft zurückzuziehen und mich zu fragen, ob das wirklich das Leben sein soll, das ich führe bzw. ob das der Sinn und Zweck ist, wieso ich überhaupt lebe. Da halfen auch keine Psychopharmaka dauerhaft, auch in den Therapie-Stunden und in den Reha-Zentren fand ich nicht wirklich Antworten darauf und eine wirkliche Unterstützung bei der Suche danach fand ich dabei auch nicht. Ein Psychologe sagte mir während einer sechswöchigen Rehamaßnahme direkt: „Solche Dinge werden von der Krankenkasse nicht bezahlt und werden im Therapieplan nicht berücksichtigt. Das im Gesundheitssystem festgelegte Ziel ist, dass Du wieder stabil bist und am Arbeitsleben teilnehmen kannst.“

Für mich war es aber existenziell wichtig, eine Antwort auf die Fragen zu finden und so war ich hin- und hergerissen. Ich versuchte den Erwartungen des Arbeitgebers gerecht zu werden, nachdem ich – ärztlich bestätigt – austherapiert und geheilt war, mich aber keineswegs so fühlte und gleichzeitig sah ich nicht wirklich einen Sinn in den vielen Stunden im Büro, in Meetings, auf Dienstreisen. Nach außen hin war das nicht zu sehen, mir wurde oft genug gesagt, dass es gute Arbeit ist, die ich leiste, mit den Kollegen war ich größtenteils sehr verbunden und die Gehaltszahlung war recht ordentlich. Eigentlich ein Zustand, der Zufriedenheit hervorrufen könnte – wenn nicht diese Frage in mir gewesen wäre. Von den Psychologen und Therapeuten, die ich bis dahin kennengelernt hatte, konnte ich, so meine Erfahrungen, hierzu keine Unterstützung erwarten. Also begab ich mich auf die Suche nach Antworten und landete unweigerlich im Coaching- und Seminarsektor – einem Haifischbecken, für die ich ein gefundenes Fressen war, so hin- und hergerissen, wie ich in dieser Zeit durchs Leben gestapft bin.

Glück, Freiheit, Freude, Sinn, Leichtigkeit und Erfolg

Der Coaching- und Seminarsektor ist meiner Meinung und Erfahrung nach mittlerweile zu einem Milliardengeschäft geworden, in dem – ähnlich wie in allen Wirtschaftsbereichen – der Mensch selbst oft erst an zweiter Stelle kommt und es primär um Gewinnerzielung geht. Ein Wirtschaftszweig, der von den Einstellungen, dem Verhalten und den Haltungen der Verantwortlichen her den vielen anderen ökonomischen Bereichen gleicht, mit einem Unterschied: hier geht es nicht um die Herstellung von Produkten oder um Dienstleistungen, sondern es geht um echte Menschen, mit Gefühlen und mit einem mehr oder weniger schweren Rucksack aus Erfahrungen, Erlebten, Schicksalsschlägen, Glaubenssätzen, Überlebensstrategien auf den Schultern. Menschen, die von diesem leistungs- und gewinnorientierten System in dem sie leben durchgekaut, ausgelutscht und ausgespuckt wurden. Menschen, die sich nicht mehr damit zufriedengeben wollen, dass sie ihr Leben ableben und dadurch nicht mehr mitspielen können oder wollen. Mit aggressiver, toxisch-manipulativer Werbung und mit einem Marketing, das ein Lehrbuch für sämtliche Psycho-Tricks bedient, wird solchen Menschen wie mir dann Glück, Freiheit, Freude, Sinn, Leichtigkeit und Erfolg im Leben versprochen – genau das, was diese Menschen suchen – und sie werden durch ein System geschleust, das Auswege, Selbsterkenntnis, Heilung, Transformation und Halt für meist teuer Geld verkauft.

Sündhaft teure Einzel-Coachings

Ich setzte in der damaligen Zeit, in der ich ausgebrannt war und die von depressiven Phasen durchsetzt wurde, meine Hoffnung darauf, dass auch ich das schaffen kann, ein sinnerfülltes, freudiges und glückliches Leben zu führen, in dem alles möglich ist. So wie es in den Werbungen, den Rezessionen und den Social-Media-Posts immer versprochen wird. Es war viel Geld und noch mehr an Zeit, das ich bei den Coaches, den Veranstaltern und in den Seminar-Hotels – sofern es sich nicht um eine anonyme Massenveranstaltung in großen Hallen oder gar Stadien handelte – ließ und war überzeugt, dass die auf der Bühne stehenden Seminar-Leiter, Coaches, selbst ernannten Gurus einschließlich ihrer oft großen Schar an Mitarbeitenden es geschafft und verstanden hätten und ich das auch könne, wenn ich mich auf ihre, jetzt im Nachhinein für mich erkennbaren, manipulativen Taktierereien, mitreißenden Ritualen, weise klingenden Phrasen und beeindruckenden Showeffekten einlassen kann. Es waren auch immer wieder kurzzeitige High-Erlebnisse, euphorisierende Erfahrungen, ekstatische Momente und ich fühlte sich unter den Teilnehmern tatsächlich einen Moment lang wie der König der Welt, um dann anschließend wieder in ein Loch zu fallen und nicht zu verstehen, warum das Glücksgefühl, das Freiheitserlebnis, die Power-of-Life und die Leichtigkeit des Seins nicht dauerhaft anhält. Vielleicht mache ich irgendwas falsch, vielleicht brauche ich diese Dosis nur öfter und intensiver, vielleicht muss ich noch etwas aufarbeiten und in einigen (sündhaft teuren) Einzel-Coachings meine Seele auf links drehen während das Gegenüber mehr mit seiner Apple-Watch als mit mir beschäftigt war, vielleicht kann ich mit den Büchern, Podcasts, Video-Mitschnitten, online-Schulungen das Geheimnis für ein erfülltes Leben als ich selbst und die Antwort auf meine Suche kaufen, vielleicht erreicht mich die Lösung in der privaten und passwortgeschützten Community – dem modernen und virtuellen Ashram der Live-Coach-Gurus und Selbstoptimierungs-Trainer – in die ich mich nach den Seminaren einloggen konnte, um mit den Teilnehmern verbunden zu sein, mit denen ich Erfahrungen machen, aber nicht darüber reden durfte, vielleicht bin ich einfach noch nicht bereit für den großen Durchbruch, der mich dazu befähigt, endlich mein Leben zu führen, so wie es die Seminar-Leiter und Coaches beschreiben.

Es dauerte eine Zeitlang und viele tausend Euro, bis mich das erste Mal etwas skeptisch machte. Es war eine traumatische Erfahrung meiner Kindheit, die von meiner Seele und Psyche über Jahre hin weggesperrt wurde, die in einem dieser Seminarkontexte wie ein Blitz aus heiterem Himmel in mein Gewahrsein schoss, ich mir über viele Stunden und Tage die Augen ausheulte und mir die Seele aus dem Leib kotzte, meine Ehefrau etwas hilflos Tag und Nacht an meiner Seite stand und ich aber von den verantwortlichen Personen des Seminarkontextes allein gelassen wurde damit. Erst im Nachhinein konnte ich woanders, bei einem fundiert geschulten Experten für Traumata mir den Support holen, den es wirklich für die Aufarbeitung und die Heilung der seelisch/psychischen Wunden braucht. Das war auch der Zeitraum, in dem ich die Entscheidung getroffen habe, mich aus meinem alten Beruf zurückzuziehen und etwas Neues zu beginnen. So paradox es auch klingen mag, habe ich mit all den Erfahrungen aus den Jahren den Weg in Richtung Coaching und Unterstützung eingeschlagen. Ein ehrliches Coaching und tiefgehende Unterstützung, das vielleicht nicht so viele Tschakka-Momente aufweist (wobei das nicht ausgeschlossen ist, dass so etwas vorkommen kann), dafür aber langfristig und nachhaltige Veränderungen bewirkt und das ein echtes und tragfähiges Fundament für das zukünftige Leben der Menschen aufbaut. Das ist mein Versprechen.

Bedarf an Coaching und Mentoring

Der Bedarf an Coaching und Mentoring ist zweifellos vorhanden, es gibt mit Sicherheit auch echte, authentische, gut ausgebildete, bodenständige und ethisch agierende Coaches ohne Star- und Guru-Allüren, ich kenne auch solche und von diesen habe ich sehr viel Unterstützung und Hilfestellungen bekommen. Dafür bin ich sehr dankbar und es hat mich so weit gebracht, dass ich die Zusammenhänge sehen kann, denn der Coaching-, Selbstoptimierungs-, Selbstfindungs- und Persönlichkeitsentfaltungs-Sektor ist auch deshalb zu einem Geschäftsbereich mit Milliarden-Umsätzen geworden, weil unser ganzes, auf die Wirtschaft und die ökonomischen Regeln fokussiertes gesellschaftliches System nur auf Leistung und Zahlen ausgerichtet ist und die Menschlichkeit, die Bedürfnisse und die seelischen Belange dabei hinten angestellt werden. Die dadurch auftretenden menschlichen, psychischen, seelischen Kollateralschäden werden immer mehr, der Druck, der Stress, die Herausforderungen werden immer größer, die psychologischen und therapeutischen Ressourcen immer knapper und da bedarf es die Stabilität eines sicheren Hafens, den man am besten in sich selbst findet, um nicht abhängig von anderen zu werden. Ein bodenständiges und echtes Coaching, um nicht aus der Bahn geworfen zu werden, kann uns zu dieser Stabilität und diesem Halt in uns selbst verhelfen und man kann von den Erfahrungen profitieren, wenn es um Veränderungs- und Wachstumsprozesse geht – wenn der Coach sich seiner Werte, seiner Handlungen und seiner Verantwortung bewusst ist.

Der Mensch sollte im Mittelpunkt stehen

Solange unser gesamtes gesellschaftliches System immer wieder Menschen über Bord wirft und sie seelisch/psychisch zermalmt, werden solche Coaches gebraucht, um unterstützend dazu beitragen zu können, dass diese Menschen zurück auf die Beine kommen und ein wertvolles Leben als sie selbst führen können. Und auch – so meine Meinung – um unser gesellschaftliches System dahin gehend zu verändern, dass nicht mehr die Wirtschaft im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch. Ähnlich wie es Finnland, Island, Schottland, Wales oder Neuseeland schon vorleben und sich zur Wellbeing Economy Alliance zusammengeschlossen haben. Diese dahinterstehende Vision würde alles wieder auf ein gesundes und harmonisches Maß bringen und die überhitzten, auf immer mehr ausgerichteten Bereiche der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Coaching- und Seminar-Szene wieder dem Menschen unterordnen. Davon würden wir alle profitieren und das wäre gesünder für uns alle.

Mahalo! Heinz

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MENTORING

HUNA

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